12. Internationale Architekturbiennale, Venedig
Was ist geblieben? Seit 1980 ziehen im Rhythmus von zwei Jahren die versammelten Architektenscharen der Welt nach Venedig. Dort durchstreifen sie einerseits die nationalen Pavillons in den Giardini und andererseits die scheinbar endlosen Räume des Arsenale, einer historischen Seilerei der venezianischen Flotte. Immer sind sie auf der Suche nach dem Neuen, dem Überraschenden, dem Bewegenden oder gar dem Schönen in der Architektur der Gegenwart. Was bleibt von den Impressionen haften und ging es mitunter um mehr, als die Wahrung und Verbreitung des schönen Scheins?
Diesmal stand das Unterfangen unter dem Kuratorium von Kazuyo Sejima vom japanischen Architekturbüro SANAA. Gemäß dem enormen Renommee der Architektin und ihrem Büro musste man gespannt sein, welchen Blick fernöstliche Sensibilität und Finesse gepaart mit Biennale Historie und dem „Welterbe“ Venedig auf die Architektur von Heute freigibt? Das Leitmotiv „People meet in architecture“ hätte nicht unverfänglicher sein können: Wer traf sich wo? Die Antwort fiel überraschend unprätentiös aus, zumindest in den Bereichen, sprich dem Arsenale, wo sich Sejimas geistige Federführung unmittelbarer ausleben konnte als in den national geleiteten Pavillons der Giardini. In der fast klösterlichen Strenge der Corderie versammelte Sejima Architekten-Ingenieure-Kuratoren-Künstler in 17 riesigen Ausstellungsräumen. Hier vollzog sich in den unterschiedlichsten Medien eine teils virtuelle Architektur-Inszenierung, wobei die Übergänge zwischen den Künsten und Kunstformen sich immer fließender und unbestimmbarer gestalteten. Ein Film von Wim Wenders über das von SANAA entworfene Rolex Learning Center in Lausanne nahm den gleichen Raum ein wie Hans Ulrich Obrists Zelebrierung der kreativen Beichte in Form von gefilmten Interviews. Das Immaterielle, und damit auch ein gewisses ökologisches Gewissen in Punkto der Fragilität unseres baulichen Tun und Lassens, war eines der unterschwelligen Themen überhaupt. Selten wurde daraus aber ein nachhaltiger Imperativ, eher war es eine Architektur (und Kunst) des aktiven Erlebens und der direkten Teilhabe, die einen touchierte.
Überraschend und couragiert war dann doch die Verleihung des Goldenen Löwen für den besten nationalen Pavillon an das Königreich Bahrain, welches zum ersten Mal an der Biennale teilnahm: Drei alte Fischerhütten gaben der Hinterfragung von Großprojekten in den Küstenregionen des Inselstaates einen Rahmen. Die Symbolik der einfachen Hütten, ihre Direktheit und Ehrlichkeit mit der sie auf die damit verbundenen sozialen, wirtschaftlichen und ökologischen Veränderungen aufmerksam machten, wurde von gefilmten Interviews begleitet. Unmittelbarer hätte man die fragwürdigen Auswirkungen von Architektur auf die Umwelt nicht zur Schau stellen können!
Es gab aber auch Spannung, Stauen und Sensation: Olafur Eliassons mit Lichtblitzen ausgeleuchteten Wasserfontänen in einem komplett verdunkelten Raum, oder Junya Ishigamis mit zauberhafter Leichtigkeit in den Raum gezeichneten hauchdünnen weiße Drähte, die die Konturen eines Hauses nachzogen. Ein Projekt, welches ebenfalls mit dem Goldenen Löwen geehrte wurde. Alle diese Arbeiten deuteten Architektur an, aber sie manifestierten sie nicht unter einem exzessiven Materialaufwand. An nur wenigen Stellen sah man Architektur in Form von Modellen oder Photographien. Das Stuttgarter Ingenenieurbüro Transsolar vollbrachte, in Zusammenarbeit mit Ketsuo Kondo Architects, Japan, die atmosphärischste Installation: Ein vernebelter Arsenale Raum, durch den sich die Besucher, einer Apotheose gleich, über eine Rundtreppe in den siebten Architekturhimmel hineinbegaben…. Was ist geblieben? Unter der Regie von Kazuyo Sejima vollzog sich eine Architekturbiennale, die in ihrer Wirkung nachhaltiger sein wird als die der vorangegangenen, die mit großen Namen und Projekten beladen waren. Als Meisterin des feinen Übergangs betrat sie kein Neuland, zeigte aber unverhohlen auf viele prekäre Verhältnisse, Bedingungen und Auswirkungen, mit der dieArchitektur weltweit zu kämpfen hat.
Christian Brensing